3e) Das sind nicht Nachrichten, das ist Agitation
Ein offener Brief des Publizisten Dr. Andreas Püttmann an den Intendanten
des ZDF über die unfaire Berichterstattung im Rahmen der "heute"-Nachrichten
am Beispiel der Berufung des Regensburger Bischofs Müller nach Rom:
Sehr geehrter Herr Dr. Bellut,
in den „Heute“-Nachrichten wurde gestern über die Berufung
des Regensburger Bischofs Müller nach Rom in das drittwichtigste Amt der
katholischen Weltkirche berichtet. Oder eigentlich eher: Es wurde angesagt,
was man darüber zu denken habe. Statt gemäß der klassischen
Journalistenregel „Was wo wer wann wie...“ mit den wichtigsten
Tatsachen zu beginnen, stimmte Petra Gerster die Zuschauer im ersten Satz so
ein: „Die neue Personalie im Vatikan erregt Aufsehen und löst Kritik
aus.“ Der hermeneutische Schlüssel für alles Weitere ist also:
Wieder ein Skandal des Benedikt-Pontifikats! Erst danach kommt die Nachricht: „Denn
Papst Benedikt XVI. hat den Regensburger Bischof Gerhard Ludwig Müller
zum Chef der Glaubenskongregation ernannt.“
Das war es dann aber schon wieder mit der faktenorientierten Informationspflicht,
denn Satz 3 stellt Müller nicht etwa mit seiner theologischen Qualifikation
als Dogmatikprofessor in München oder mit seinem „Ressort“ Ökumene
in der Deutschen Bischofskonferenz vor, sondern pappt ihm plump eine Gesinnungsplakette
an: „Damit wird ein Mann oberster Glaubenshüter, der als erzkonservativer
Hardliner gilt.“ Frage: Wem „gilt“ er das? Der Redaktion?
Ihren Kirchenlieblingsgesprächspartnern? Den ZdK-Kollegen des Chefredakteurs?
Zweite Frage: Hätte „konservativ“ als Schubladisierung nicht
gereicht? Wieso musste das Abwertungsattribut gleich zu „erzkonservativ“ aufgeblasen
werden – und für die ganz Begriffsstutzigen dann auch noch flankiert
durch „Hardliner“?
Folgt Satz 4: „Die Glaubenskongregation ist wie ihre Vorgängerin,
die Inquisition, für die Reinheit der katholischen Lehre zuständig.“ Man
hört die Folterketten schon rasseln: Den Dan-Brown-Gruseleffekt wollte
man sich doch nicht entgehen lassen. Botschaft: Die einschlägige Person
für das passende Amt. Leiten Sie Meldungen zur Partei „Die Linke“ demnächst
auch immer so ein: „Die Linke ist, wie ihre Vorgängerin, die SED-Nachfolgepartei
PDS, der Meinung, dass ...“?
Nach der tendenziösen Anmoderation bläut Korrespondent Sydow den
Zuschauern weiter ein, wie man über Bischof Müller zu denken hat:
Der sei ein „Hardliner“. Statt mehr Information in der knappen
Zeit von 1:30 Minuten also lieber eine Wiederholung. Doppelt gemoppelt hält
eben besser, und am wichtigsten ist doch, dass man vor diesem Mann warnt. Dabei
darf selbstverständlich auch das Attribut „umstritten“ nicht
fehlen. Ebenso wenig „Missbrauch“, wo Müller „keine
generelle Verantwortung der Kirche“ sehen wolle – was immer der
Bischof da tatsächlich gesagt haben mag und der Zuschauer sich jetzt darunter
vorstellen soll.
Es folgt eine referierte Einschätzung als "katastrophale Fehlbesetzung" und
nochmal „erzkonservativ“, jetzt allerdings auf die Piusbrüder
bezogen; der Kontakt zu ihnen gehöre zu Müllers neuen Aufgaben. Der
Zuschauer kann folgern: Wenn Müller wie die Piusbrüder „erzkonservativ“ ist,
muss es sich wohl um Brüder im Geiste handeln. So führen überdrehte
Etikettierungen schließlich zur Ununterscheidbarkeit. In der „erzkonservativen“ Finsternis
sind alle Katzen grau.
Tatsächlich ist den reaktionären Lefebvre-Jüngern aber kaum
ein Bischof verhasster als Müller. Das rechtsradikale, ihrer Williamson-Strömung
nahestehende Internetportal „kreuz.net“ giftete am selben Tag gegen
den Regensburger Widersacher als „hartgesottenen Ketzer“, Schüler
des „altliberalen Theologen Hw. Karl Lehmann“, „Benedikts
Glaubensbock“ und „eiskalten Karrieristen“. Beim ZDF aber
kommen alle in einen Topf: „erzkonservativ“!
Rekapitulieren wir die Reizwörter: Aufsehen erregend – Kritik auslösend – erzkonservativ – Hardliner – Inquisition – Hardliner,
die Zweite – umstritten – Missbrauch – katastrophale Fehlbesetzung – erzkonservativ,
zum Zweiten: macht zusammen 10. Wenn der unmündige Zuschauer es nach diesem
Skandalierungs-Overkill immer noch nicht kapiert haben sollte, kann man dem
ZDF wirklich keinen Vorwurf machen, den Anfängen nicht gewehrt zu haben.
Das sind nicht Nachrichten, verehrter Herr Intendant, das ist Agitation. Unter
der Verantwortung Ihres Chefredakteurs Peter Frey.
Wohlgemerkt: Es geht mir hier nicht darum, ob man für oder gegen die Personalie
Müller ist, oder ob auch die Kritik an ihm in der aktuellen Berichterstattung
erwähnt werden durfte oder musste.
Es geht um Qualitätsstandards im Nachrichtenjournalismus, um einen halbwegs
rationalen Diskurs, um Fairness und um die Mündigkeit der Zuschauer.
Bei dieser Gelegenheit: Vor einigen Wochen faselte dieselbe Moderatorin in
einem anderen ZDF-Magazin, während man hinter ihr die deutschen katholischen
Bischöfe in einen Dom einziehen sah, etwas von „freudloser Männergesellschaft“.
Wenn es gegen die katholische Kirche geht, ist eben kein Klischee zu billig.
Was unternehmen Sie dagegen?
Mit kollegialen Grüßen
Ihr Andreas Püttmann
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