3d) "Only bad news are good news" - Die
Welt ist besser, als es uns die Medien seit Jahren suggerieren
Kriege, Krisen, Katastrophen:
Jeden Tag werden wir mit schlechten Nachrichten bombardiert. Dadurch geraten
die langfristigen Trends aus dem Blick. Sie sehen viel besser aus, als
die meisten glauben.
Die Welt ist schlecht. Und demnächst geht sie unter. Wer Zeitung liest
oder Fernsehnachrichten anschaut, bekommt jeden Tag die Beweise geliefert:
Euro-Krise, Nahostkonflikt, Finanzkrise, Afghanistan, Klimakatastrophe, Gift
im Essen, Hunger in Afrika, soziale Ungerechtigkeit in Deutschland, Kulturverfall,
Blödelfernsehen. Das ist die Realität, wie sie viele Menschen wahrnehmen.
In diesem globalen Jammertal gibt es jedoch einige Rebellen, die nicht glauben
wollen, dass die Gegenwart die schrecklichste aller Zeiten ist, und bestreiten,
dass früher alles besser war. Sie sind davon überzeugt, dass so etwas
wie Fortschritt existiert und die Menschheit sich tastend und zuweilen auch
stolpernd weiterentwickelt. Einer davon, der britische Zoologe und Bestsellerautor
Matt Ridley, hat gerade das Buch „The Rational Optimist“ veröffentlicht,
das im Herbst auch auf Deutsch erscheint. Es schließt mit den Worten: „Wage
es, Optimist zu sein!“). Auf 438 Seiten beschreibt Ridley, dass auf dem
langen Weg vom Faustkeil zur Computermaus zwar eine Menge schiefgegangen ist.
Wir aber trotz aller Rückschläge und all der schrecklichen Ereignisse,
die die Seiten der Geschichtsbücher füllen, heute wesentlich besser
dran sind als unsere Großeltern oder deren Großeltern.
Für den Erhalt der Natur
Seit 1800 ist die Weltbevölkerung um mehr als das Sechsfache gewachsen,
gleichzeitig verdoppelte sich die Lebenserwartung. Zwischen 1955 und 2005 verdreifachte
sich das inflationsbereinigte Durchschnittseinkommen der Erdenbewohner. Immer
mehr Menschen haben genug zu essen, leben länger und können ihre Kinder auf Schulen schicken. Und ab einem
gewissen Wohlstandsniveau fangen sie an, ihre Umwelt zu verbessern und die
Natur zu schonen. Ein Prozess, der in den Industrieländern in den 60er-Jahren
begann und heute in den Schwellenländern im Gange ist. Eine der besten Entwicklungen
für den Erhalt der Natur ist die Intensivierung
der Landwirtschaft. Mit den Ernteerträgen von 1961 hätten die Bauern
zur Jahrtausendwende bereits 32 Millionen Quadratkilometer Ackerfläche
benötigt, um die auf sechs Milliarden gewachsene Menschheit zu ernähren.
Sie ernteten das notwendige Getreide jedoch auf 15 Millionen Quadratkilometern.
Das heißt, eine Fläche, beinahe so groß wie Südamerika,
musste nicht umgepflügt werden, Wälder und Savannen blieben erhalten.
Matt Ridley ist nicht der erste kritische Kopf, der bezweifelt, dass die Welt
sich tatsächlich in einem hoffnungslosen Zustand befindet. Ein Nestor
des rationalen Zukunftsoptimismus war Julian Simon (1932-1998). Der amerikanische Ökonom
traf mit seinen Prognosen wesentlich genauer als die populären Auguren
seiner Zeit, die teilweise noch heute als Untergangspropheten durch die Lande
ziehen. 1980 überredete er Paul R. Ehrlich, den Autor des düsteren
Weltbestsellers „Die Bevölkerungsbombe“, zu einem zehnjährigen
Wettvertrag. Es ging um fünf wichtige Rohstoffe, von denen Ehrlich – wie
auch der Club of Rome – behauptet hatte, sie würden immer knapper
und teurer. 1990 waren die Preise inflationsbereinigt um rund die Hälfte
gesunken. Ehrlich musste zahlen, und Simon offerierte eine neue Wette. Er bot
ihm an, sich eine beliebige Bevölkerungsgruppe zu wählen, eine Region,
ein Land oder sogar die ganze Welt. Außerdem dürfe Ehrlich sich
einen Indikator für menschliches Wohlergehen aussuchen: Lebenserwartung,
Pro-Kopf-Einkommen, Bildung – was immer er wolle. Zusätzlich hätte
er einen beliebigen Zeitpunkt in der Zukunft wählen können. Simon
wollte um ein Monatsgehalt wetten, dass, egal in welchem Zeitraum, egal auf
welchem Gebiet, eine Verbesserung stattfinden wird. Doch Ehrlich schlug aus.
Obwohl Julian Simon meistens Recht behielt, kennt heute fast niemand mehr seinen
Namen. Paul R. Ehrlich dagegen blieb noch jahrzehntelang ein gefragter Experte
für Zukunftsprognosen, ebenso wie die meisten anderen pessimistischen
Propheten.
Lebensbedingungen sind besser als angenommen
In den 90er-Jahren stieß der dänische Statistikprofessor Bjørn
Lomborg zufällig auf eines der Bücher von Simon, empörte sich über
die vermeintliche Schönfärberei und wollte sie widerlegen. Aber es
gelang ihm nicht, Simons Fakten waren hart. Lomborgs Recherchen mündeten
stattdessen in dem Buch „The Skeptical Environmentalist“ (auf Deutsch: „Apocalypse
No! Wie sich die menschlichen Lebensgrundlagen wirklich entwickeln“).
Darin klopfte er die gängigen Beschreibungen der Umweltlage ab und konfrontierte
sie mit den messbaren Tatsachen. Wie Simon kam er zu dem Schluss, dass die
Welt in einem besseren Zustand sei, als die meisten Menschen in den reichen
Industrieländern glaubten. Damit machte er sich aber bei vielen Meinungsführern
nachhaltig unbeliebt. Ähnliche Aufklärungsversuche starteten der
Journalist Gregg Easterbrook („The Progress Paradox“) und Indur
Goklany, Technologieexperte in der US-Umweltbehörde und eine Zeit lang
Vertreter der Vereinigten Staaten beim Weltklimarat (IPCC). 2007 publizierte
er eine Datensammlung, in der man unter anderem nachlesen kann, dass zwischen
1962 und 2002 die durchschnittliche tägliche Nahrungsmittelmenge pro Mensch
um 24 Prozent gestiegen ist (in Entwicklungsländern um 36 Prozent). Und
dass die inflationsbereinigten Kosten für Essen seit 1950 um 75 Prozent
gefallen sind.
Viele Menschen reagieren verärgert auf frohe Botschaften
Die Reaktion auf Bücher wie das von Goklany ist selten Begeisterung oder
Freude über die Fortschritte der Menschheit. Stattdessen gelten Autoren,
die ihr Augenmerk auf die Verbesserungen des Lebensstandards und der Umwelt
richten, als Naivlinge, die durch eine rosarote Brille in die Welt schauen
und die bittere Realität verdrängen. Viele Menschen reagieren ausgesprochen
ungehalten auf frohe Botschaften. Einst wurden Boten geköpft, wenn sie
schlechte Nachrichten überbrachten. Im 21. Jahrhundert scheint es jedoch
umgekehrt zu sein. Düstere Neuigkeiten sind willkommen – ganz besonders
in Deutschland. Dieser bange Konsens eint die Deutschen von atheistisch
bis esoterisch, von antikapitalistisch bis nationalkonservativ. Eine überwältigende
Majorität von gebildeten Bürgern mit Bausparvertrag und Lebensversicherung
sieht schwarz für die Zukunft des Planeten. Diese Mehrheit hält sich
erstaunlicherweise für eine kleine, erleuchtete Minderheit. Wer in einschlägigen
Diskussionsrunden darauf hinweist, dass die wichtigsten Indikatoren für
das Wohlergehen der Menschheit sich zum Besseren entwickelt haben, erntet entsetztes
Kopfschütteln.
Wer sich die Mühe macht und die Statistiken der Vereinten Nationen und
anderer internationaler Institutionen wälzt, gelangt jedoch zu einem differenzierteren
Bild: Trotz mancher Rückschläge entwickelt sich die Welt zum Besseren.
Ganz im Gegensatz zu dem, was wir tagtäglich
durch Zeitungen und Fernsehen vermittelt bekommen. Ob Krieg, Hunger, Analphabetentum,
politische Unterdrückung oder Umweltverschmutzung. Alle großen Übel
dieser Welt schrumpfen. Immer weniger Menschen müssen darunter leiden.
Und das gilt nicht nur für die reichen Länder Europas und Nordamerikas,
sondern global. Noch vor wenigen Jahrzehnten wurden Osteuropa, fast ganz Südamerika
und sogar einige Länder Westeuropas von Diktaturen beherrscht. Nach dem
Zweiten Weltkrieg waren auch europäische Staaten nach heutigen Maßstäben
Entwicklungsländer. Die Vereinten Nationen stellten fest, dass in der
zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts die Armut stärker zurückgegangen
ist als in den 500 Jahren zuvor.
Neuheit in der Geschichte
Dieser stetige Fortschritt findet am undeutlichen Rand unseres vom Zeitgeist
verengten Blickfeldes statt. Erst in der Rückschau wird er sichtbar.
Das liegt unter anderem daran, dass die meisten großen Veränderungen
von keinem Staatsoberhaupt verkündet, von keinem CNN-Reporter ins Wohnzimmer
posaunt wurden. Sie passierten einfach so – nebenbei und zwischendurch.
Dennoch veränderten sie das menschliche Leben nachhaltig. Das Auto,
Antibiotika, Impfungen, moderne Pflanzenzucht, Computer und Internet lösten
demografische und soziale Revolutionen aus. Vieles, was uns selbstverständlich
erscheint, war für unsere Großeltern eine ferne Utopie. Deutsche,
die jetzt ins Rentenalter kommen, gehören zur ersten Generation, die
Frieden, Freiheit und Wohlstand als Dauerzustand kennen lernten. Eine völlige
Neuheit in der Geschichte. Dennoch, oder vielleicht auch deswegen, hat sich
diese und die ihr nachfolgende Generation in die Apokalypse verliebt. Auf
den Titelblättern der vergangenen Jahrzehnte war es immer fünf
vor zwölf. Raketenrüstung, Waldsterben, Atomstaat, diverse Lebensmittelskandale,
Bevölkerungsexplosion, das Ende aller Ressourcen, Klimakatastrophe,
Rinderwahnsinn und viele andere Desaster drohten unentwegt mit dem Schlimmsten.
Steigende Lebenserwartung und wachsender Wohlstand hingegen schafften es
nie auf Seite eins. Gerade in Deutschland sind deshalb viele Menschen zutiefst
davon überzeugt, dass die „gute alte Zeit“ besser war, und
erblicken in der Gegenwart nichts als Krisen, Kulturverfall, Ungerechtigkeit
und Umweltverschmutzung. Missstände gibt es auch im 21. Jahrhundert
zur Genüge. Auf den Weltmeeren
plündern Fabrikschiffe die Fischbestände. Die rapide wachsende Stalltierhaltung
schafft gewaltige Umweltprobleme. In Indonesien und Malaysia werden Urwälder
abgebrannt, um Platz für Ölpalmplantagen zu schaffen. Oftmals erwachsen
neue Probleme aus der Lösung von alten. Wer jedoch immer nur das Schlimmste
erwartet, verbessert nichts.
Niemand hätte in den 80er-Jahren gedacht, dass der Wald wächst
Bis zur Mitte der 60er-Jahre blickten die meisten Deutschen noch optimistisch
in die Zukunft. Man staunte über die Erfolge der Raumfahrt. Atomkraft
galt als Lösung aller Energieprobleme. Jungs wollten Ingenieur oder Forscher
werden. Wenige Jahre später schlug das Pendel in die andere Richtung.
Der Club of Rome verkündete „Die Grenzen des Wachstums“, und
weltweit schlugen Wissenschaftler Alarm, dass es mit der Umweltverschmutzung
und Naturausbeutung nicht mehr so weitergehen könne. In den 80er- Jahren
verstärkte eine Kette katastrophaler Industrieunfälle (Seveso, Bhopal,
Basel, Tschernobyl) den Eindruck, das Ende sei nah.Ein Thema schlug besonders
den Deutschen aufs Gemüt, das Waldsterben. Ähnlich
wie heute die Klimakatastrophe galt die Prognose, der Wald werde in wenigen
Jahren verschwunden sein, als felsenfest gesichert. Hubert Weinzierl, damals
Vorsitzender des BUND, war sich 1987 sicher: „Das Sterben der Wälder
wird unsere Länder stärker verändern als der Zweite Weltkrieg.“ Doch
während die Nation Abschied vom Wald nahm, wuchs dieser besser denn je.
Laut Statistischem Bundesamt nahm die Waldfläche in der alten Bundesrepublik
zwischen 1980 und 1990 um durchschnittlich 108 Quadratkilometer pro Jahr zu.
Im wiedervereinigten Deutschland lag der jährliche Zuwachs dann sogar
bei 176 Quadratkilometern jährlich.
Quelle: www.focus.de, vom
03.01.2011
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