Die "Fristenlösung" muss
abgeschafft werden
Wie die Papstworte beim Österreichbesuch relativiert wurden und warum
die ÖVP keine Lebensschutzpartei mehr ist - Eine Analyse von Weihbischof
Andreas Laun.
Papst Benedikt XVI. besuchte im Herbst 2007 Österreich und hielt am 7.
9. 2007 in der Wiener Hofburg eine vielbeachtete Rede. Dabei sagte er zum Thema
Abtreibung:
I. Papst Benedikt XVI. zur Abtreibung in seiner Rede in der
Wiener Hofburg
"In Europa ist zuerst der Begriff der Menschenrechte formuliert worden.
Das grundlegende Menschenrecht, die Voraussetzung für alle anderen Rechte,
ist das Recht auf das Leben selbst. Das gilt für das Leben von der Empfängnis
bis zu seinem natürlichen Ende. Abtreibung kann demgemäß kein
Menschenrecht sein - sie ist das Gegenteil davon. Sie ist eine "tiefe soziale
Wunde", wie unser verstorbener Mitbruder Kardinal Franz König zu betonen
nicht müde wurde.
Mit alledem spreche ich nicht von einem speziell kirchlichen Interesse. Vielmehr
mache ich mich zum Anwalt eines zutiefst menschlichen Anliegens und zum Sprecher
der Ungeborenen, die keine Stimme haben. Ich verschließe nicht die Augen
vor den Problemen und Konflikten vieler Frauen und bin mir bewußt, daß
die Glaubwürdigkeit unserer Rede auch davon abhängt, was die Kirche
selbst zur Hilfe für die betroffenen Frauen tut.
Ich appelliere dabei an die politisch Verantwortlichen, nicht zuzulassen, daß
Kinder zu einem Krankheitsfall gemacht werden und daß die in Ihrer Rechtsordnung
festgelegte Qualifizierung der Abtreibung als ein Unrecht nicht faktisch aufgehoben
wird."
II. Reaktionen auf die Papstrede
In einer Zeit, in der sogar eine Organisation wie "Amnesty international",
die seinerzeit für die Verteidigung der Menschenrechte angetreten war,
Abtreibung als rechtmäßig anerkennt, und ebenso "Ärzte
ohne Grenzen" bereit sind, Abtreibungen durchzuführen, und Politiker
Abtreibung im Widerspruch zum Gesetzbuch ihres Landes als "Menschenrecht"
bezeichnen, Internationale Konferenzen abgehalten werden, um Abtreibung weltweit
noch "sicherer" zu machen, mussten Worte des Papstes Aufsehen erregen.
Aber die nervös-aggressive Reaktion zeigt eigentlich nur, wie weit die
"intellektuelle Erkrankung" der Gesellschaft fortgeschritten ist (so
die US-Bischöfe[1]): Worin besteht der Neuheitswert oder gar das Sensationelle
solcher Worte, da der Papst doch nur wiederholte, was das kirchliche Lehramt
schon immer, oft und viel ausführlicher gesagt hat?
Warum die Aufregung in Österreich, obwohl der Papst die Fristenregelung
nicht direkt angesprochen hatte? Nach der Rede des Papstes beeilten sich jedenfalls
Politiker aller größeren Parteien Österreichs zu betonen, dass
an der Fristenregelung nicht zu rütteln sei, und die APA, die Österreichische
Presse-Agentur, konnte unter dem Titel "Fristenlösung nicht gemeint"
sogar melden: "Unterdessen stellten kirchliche Stellen klar, der Papst
habe bei seiner Rede am Freitag in der Hofburg keine Abschaffung der österreichischen
Fristenlösung gefordert: Benedikt XVI. habe an die politisch Verantwortlichen
appelliert, dass Abtreibung weiter wie bisher als ein Unrecht gelten solle.
Der Pressesprecher der Erzdiözese Wien, Erich Leitenberger, sagte, der
Papst habe offensichtlich auf Bestrebungen Bezug genommen, Abtreibung aus dem
Strafrecht herauszunehmen. Solche Bestrebungen gebe es wie in anderen Ländern
auch in Österreich."
III. Die Position des Papstes
Was der Papst "wirklich gesagt hat", kann jeder nachlesen. Tatsache
ist: Er hat das Wort "Fristenregelung" nicht in den Mund genommen.
Offen bleiben aber zwei Fragen: Was ergibt sich logisch aus dem, was der Papst
gesagt hat? Und: Was will und denkt der Papst bezüglich Fristenlösung
wirklich?
Zunächst: Was die "Fristenlösung" betrifft, ist der Standpunkt
der Kirche klar und unverändert, weil ihr Standpunkt zur Abtreibung unveränderlich
ist: Abtreibung ist "Mord", Und zur Frage der Gesetzgebung sagte Papst
Johannes Paul II.: Abtreibung freigebende Gesetze haben nur den "tragischen
Schein einer Legalität" (in EV 20). Und Papst Benedikt XVI. im Jahr
2007 in Wien: Abtreibung ist das "Gegenteil" eines Menschenrechtes."
Dann zitierte der Papst noch Kardinal König mit seinem berühmten Wort:
Die Fristenlösung ist eine "tiefe soziale Wunde", In eben diesem
Sinn äußerten sich auch die Österreichischen Erzbischöfe:
Die Fristenlösung ist ein "nicht annehmbarer Zustand", so Kardinal
Schönborn und Erzbischof Kothgasser: Abtreibung ist "die vorsätzliche
Tötung eines unschuldigen Menschen und daher ein schweres Unrecht, das
niemals gerechtfertigt werden kann!" Daraus folgt: "Gesetze, die Abtreibung,
Euthanasie und Beihilfe zum Selbstmord erlauben, sind zutiefst unrecht, und
wir sollten friedlich und unermüdlich daran arbeiten, ihnen zu widerstehen
und sie zu ändern" - so wiederum die US-Bischöfe!
Angesichts dieser kirchlichen Position: Wer sagt, der Papst wollte keine Änderung
der Fristenlösung, behauptet, er, der Papst, hätte sich von der stets
gleich bleibenden Lehre der Kirche bezüglich Abtreibung verabschiedet und
wäre in dieser Frage ein "Liberaler" geworden! In Anbetracht
seiner Rede in Wien würde es bedeuten: Der Papst halte den rechtlichen
Schutz eines Menschenrechtes für unnötig oder gar für falsch!
Noch einfacher wird es zu erkennen, was der Papst denkt und will, wenn man die
Antwort im Bild von der "offenen Wunde" sucht: Wer meint, die Fristenlösung
solle bleiben, vertritt die absurde Auffassung, es könne einen Menschen
geben, der sich wünscht, dass die beklagte offene Wunde offen bleibe und
offen gehalten werde! Es ist zwingend logisch: Wer die Fristenlösung eine
"offene Wunde" nennt, ist zugleich überzeugt, dass sie abgeschafft
werden sollte - weil nur die Abschaffung dieses Gesetzes und der erneuerte Schutz
auch für die Ungeborenen entspricht der "Heilung", die im Bild
von der "Wunde enthalten ist. Wer immer noch meint, Papst Benedikt XVI.
wäre mit der Fristenlösung irgendwie einverstanden, wenigstens im
Sinn einer Resignation, muss ihn für schizophren halten: Erst vor kurzem
lobte Benedikt XVI. Politiker aus Nicaragua ausdrücklich für ihr Bemühen,
das menschliche Leben zu schützen, und er bedankte sich für das seit
einem Jahr gültige absolute Abtreibungsverbot in Nicaragua! Die Antwort
auf die gestellte Frage lässt sich auch aus dem Gebetsanliegen des Papstes
für November 2007 ableiten: Die Katholiken mögen dafür beten,"dass
diejenigen, die sich der medizinischen Forschung widmen und im Bereich der Gesetzgebung
tätig sind, stets tiefen Respekt für das Menschenleben empfinden,
von dessen Beginn bis zu seinem natürlichen Ende."
Die Belege für das katholische Nein zu Gesetzen wie demjenigen der österreichischen
Fristenregelung ließen sich leicht vermehren, mit Worten des Papstes und
Stimmen der ganzen Weltkirche! Dass die Worte des Papstes in Österreich,
wenn auch nur für kurze Zeit, eine solche Unruhe hervorgerufen haben, zeigt,
wie offen diese Wunde tatsächlich immer noch ist! Von einer ruhigen Überzeugung
derer, die die Fristenlösung praktizieren und verteidigen, - Überzeugung,
das Richtige zu tun! - kann keine Rede sein.
IV. Die Position der "Christlichen" Österreichischen
Volkspartei zum Lebensschutz
Wie denkt die österreichische, nicht-mehr-katholische Welt im Gegensatz
zur katholischen Kirche und denen, die in diesem Punkt mit ihr einverstanden
sind? Dass die traditionell religionslos und atheistisch orientierten Parteien
die Fristenlösung wollen und die Papstworte ablehnen, versteht sich von
selbst. Aber wie sieht der Standpunkt der Österreichischen Volkspartei,
der ÖVP, zur Fristenlösung aus? In den 1970er Jahren, als die Fristenregelung
von der Regierung Bruno Kreiskys mit ihrer absoluten Mehrheit eingeführt
wurde, kämpfte die ÖVP Schulter an Schulter mit der Kirche und mit
ausgezeichneten Argumenten gegen das Gesetz. Heute will sie von dieser ihrer
damaligen Position nichts mehr wissen. Zwar versteht sie sich noch immer als
"christlich-demokratische Partei" und als Partei des Lebensschutzes.
Dennoch haben prominente Vertreter aus ihren Reihen sofort nach der Papstrede
betont: An der Fristenlösung wird nicht gerüttelt, sie kann nicht
in Frage gestellt werden, auch nicht vom Papst!
Es gibt keine Partei und nicht einmal irgendeine ausdrücklich atheistisch
orientierte Organisation, die in der Öffentlichkeit offen sagen würde:
"Ja, es gibt Fälle, in denen man auch unschuldige Menschen töten
darf, und die Abtreibung ist ein solcher Fall!" Dass man Unschuldige nicht
töten darf, ist ein "Wertekonsens", den niemand offen in Frage
zu stellen wagt. Um Abtreibung dennoch legitim erscheinen zu lassen, gibt es
für die Befürworter derselben nur einen Ausweg, um dem Vorwurf des
Mordes zu entgehen: zu behaupten, es handle sich beim Embryo, der bei der Zeugung
entsteht, noch um keinen Menschen, und wann "der Mensch" anfange zu
existieren, wisse man eben nicht so ganz genau.
Eben diesen Weg geht auch die ÖVP in ihrem kürzlich publizierten
Perspektiven-Dokument, das, ganz im Sinn des Zeitgeistes verfasst, ziemlich
präzise zeigt, wie weite Kreise der Gesellschaft heute in Fragen des Lebensschutzes
denken: Zunächst legen die Autoren darauf Wert, dass die ÖVP eine
Partei des Lebensschutzes sei, und erinnern: "Mit dem Grundsatzprogramm
der ÖVP von 1995 haben wir ein klares Bekenntnis zum Schutz des Lebens
- auch des ungeborenen - abgelegt." Aber schon der nächste Satz überrascht
den Leser: "Gleichzeitig haben wir uns seinerzeit darauf verständigt,
in der strafrechtlichen Verfolgung betroffener Frauen keine Lösung zu sehen.
Damit haben wir die Fristenregelung grundsätzlich außer Streit gestellt
und daran wird auch heute nicht gerüttelt."
Einige Zeilen weiter heißt es nochmals: "Es kann nicht darum gehen,
betroffenen Frauen strafrechtliche Konsequenzen anzudrohen: Frauen in Notlagen
(und dazu die dazugehörenden Männer) brauchen Hilfen und keine Drohungen."
Die Verfasser der "Perspektiven" sind offenbar überzeugt, trotz
Bejahung der Fristenregelung glaubwürdige Lebensschützer zu sein:
"Aber weil uns der Schutz des Lebens am Herzen liegt, nehmen wir das Recht
in Anspruch, kritische Aspekte der heutigen Abtreibungspraxis zu hinterfragen
sowie das Fehlen ausreichender Begleitmaßnahmen offen anzusprechen. Ziel
einer lebensbejahenden Politik muss es sein, positive Alternativen zur Abtreibung
zu stärken. In einer reichen Gesellschaft, die Ja sagt zum Kind, darf ein
Kind weder Armutsrisiko noch berufliche Ausgrenzung bedeuten." Dann zählt
der Text eine Reihe jener "flankierenden Maßnahmen" auf, wie
sie von Seiten der Kirche und der Lebensschützer schon seit Jahren gefordert
worden sind.
Nachdem dann die Verdienste der ÖVP für den Lebensschutz im Rahmen
der Stammzellen-Debatte gerühmt worden sind, beteuert der Text nochmals,
wie wichtig der ÖVP das Thema Lebensschutz sei: "Eine umfassende Politik
zum Schutz des Lebens erfordert jedoch mehr. Im Sinne einer notwendigen Wertebesinnung
unserer Partei ist der Schutz des Lebens - von seinem Anfang bis zum natürlichen
Tod - offensiver als bisher klar anzusprechen." Der katholische Leser ist
bei diesem Satz voll Spannung, da die Formulierung vom "Anfang bis zu seinem
natürlichen Tod" fast ein Zitat aus kirchlichen Dokumenten ist. Aber
eben nur "fast", denn wo die ÖVP von "Anfang" spricht,
sagt die Kirche "Empfängnis!" Wer sich dennoch Hoffnung gemacht
hat, wird durch die nächsten Sätze jeder Illusion beraubt.
Denn da behaupten die Autoren der ÖVP zu wissen: "Der Beginn des
menschlichen Lebens wird weltweit sowohl biologisch als auch juristisch, philosophisch
und theologisch (durch die verschiedene Weltreligionen) unterschiedlich definiert."
Und weiter: "Ein Klima der Diskriminierung und Bevormundung von Menschen
mit verschiedenen Anschauungen zu dieser Thematik muss in Österreich klar
vermieden werden." Wie nach solchen Feststellungen der sofort danach geäußerte
Wunsch der ÖVP in Erfüllung gehen soll, bleibt ein Rätsel: "Die
ÖVP soll aber klar als jene Partei wahrgenommen werden, die positiv für
das Leben steht, und dabei auch "kontroverse Diskussionen nicht scheut."
Nach diesen Ausführungen, die sich offenkundig vor allem auf die Frage
der Abtreibung beziehen, wundert es den Leser nicht mehr, wenn er auch auf andere
Fragen der Bioethik nur unklare Antworten erhält. Man wiederholt den Grundsatz:
"Das Leben des Menschen ist von seinem Anfang bis zu seinem Ende unverfügbar"
und will sich damit wohl den ethischen Maßstab vorgeben, an Hand dessen
die Antworten zu finden sein werden. Aber da der Grundsatz unklar bleibt, sind
es auch die Antworten:
Mensch-Tier-Klone (wie in England erlaubt)? Geradezu pathetisch erklärt
die ÖVP: "Aus Sicht einer christlich-demokratischen Partei ist von
der Forschung die Achtung vor der Würde des Menschen jedenfalls zu erwarten."
Der Leser fragt sich überrascht: Wofür halten die Partei-Autoren den
Mensch-Tier-Klon, wenn sie Achtung vor seiner Menschenwürde fordern? Vom
"nur" menschlichen Embryo hieß es nur wenige Zeilen vorher,
man wüsste nicht, ob er schon Mensch ist?
Stammzellen? Die Autoren wissen, dass adulte Stammzellen ethisch unbedenklich
sind, und fordern ein Schutzgesetz, dass die "Beforschung embryonaler Stammzellen
"auf Basis eines breitenöffentlichen Diskurses konsistent und ethisch
fundiert regelt". Wiederum: Wenn unbekannt ist, was der Embryo ist, wie
kann man den Umgang mit ihm "ethisch fundiert" regeln? Und was soll
der "öffentliche Diskurs" klären?
Euthanasie? Sie wird erfreulich klar abgelehnt. Man fragt sich lediglich: Warum
ist diese Ablehnung nicht auch eine "Bevormundung" und "Diskriminierung"
Andersdenkender, wie sie es im Kontext der Abtreibung nach Meinung der ÖVP
eine wäre? Denn auch in dieser Frage gibt es bekanntlich viele Meinungen!
Eugenische Indikation: Diese berühre, heißt es, "das moralische
Fundament unserer Gesellschaft in seinem Innersten." Die Autoren geben
der Kritik der Behinderten-Organisationen Recht: Der derzeitigen Regelung liegt
eine "problematische negative Wertung behinderten Lebens zugrunde."
Darum bedürfe es einer "erneuten Diskussion". Aber warum ist
die Tötung behinderter Kind nur "problematisch? Auch fragt man sich
erstaunt: Wozu die Diskussion? Warum genügt nicht der Grundsatz, den man
im Abschnitt zur Euthanasie gerade noch verkündet hat: "Die Unantastbarkeit
der menschlichen Würde verbietet eine aktive Sterbehilfe", Was ist
denn die Spätabtreibung von Behinderten anderes als Euthanasie an einer
bestimmten Menschengruppe, eben an Behinderten?
Das Ergebnis ist niederschmetternd:
Nach diesem Programm der ÖVP zum Schutz des Lebens können nur gesunde
Menschen nach dem dritten Monat der Schwangerschaft ihres Lebens sicher sein,
Behinderte müssen noch eine Diskussion abwarten und bis zu deren - für
sie nur vielleicht positiven - Ausgang sind sie erst ab der Geburt in Sicherheit.
Erst recht wissen Embryonen sozusagen nicht, was mit ihnen geschehen kann und
wird?
Der Versuch, ein Programm des Lebensschutzes mit der Legitimierung der Abtreibung
zu verbinden, versucht die Quadratur des Kreises! Mit der Festlegung auf die
Fristenregelung hat sich die ÖVP selbst eine Fessel angelegt, die sie nur
lösen kann, wenn sie bereit ist, die Fristenlösung neu in Frage zu
stellen. Dann wird es ihr ein Leichtes sein, auch die drei Behauptungen zur
Legitimierung der Fristenregelung zu durchschauen. Denn zu diesem Zweck behauptet
die ÖVP:
Eigentlich weiß niemand wirklich sicher, wann der Mensch anfängt
zu sein, ja auch die Biologen könnten es nicht sagen? Ist es so? Natürlich
wissen auch die ÖVP-Autoren das, was die Wissenschaft über die Entstehung
des Menschen heute weiß. Und das soll nicht genügen, um sich ein
Urteil zu bilden, wenigstens das Urteil: "Der Zeitpunkt der Empfängnis
besitzt die höchste Wahrscheinlichkeit für sich, dass hier das Leben
des Menschen beginnt"? Aber das zu denken, erlaubt man sich nicht, weil
man weiß: Wenn wir das sagen, können wir die Fristenlösung nicht
mehr halten! Aber sogar wenn die ÖVP guten Gewissens sagen könnten:
"Wir wissen nicht, wann das Leben des Menschen beginnt, wir zweifeln an
allen uns bekannten Antworten!", wäre die einzig mögliche moralisch-rechtliche
Folgerung: Im Zweifelfall müssen wir den menschlichen Embryo "von
der Empfängnis an" schützen, denn er könnte schon ein Mensch
sein, und wenn wir ihn töten lassen, sind wir der fahrlässigen Tötung
mitschuldig.
Wir wissen nicht, wann das Leben beginnt, aber wenn wir uns einer der im Umlauf
befindlichen Meinungen anschließen, diskriminieren wir damit diejenigen,
die anders denken. Damit will man offenbar verhindern, dass man sich einer,
derjenigen, die einer Mehrheit die wahrscheinlichste zu sein scheint, anschließt:
Was tun, wenn es gerade diejenige ist, die mit der Fristenregelung nicht vereinbar
ist? Also bleiben wir beim Nichtwissen? Aber haben die Autoren schon nachgedacht,
wie oft der Gesetzgeber das tut und tun muss: Sich einer Auffassung als der
Richtigen anschließen und sie allen Bürgern per Gesetz aufzuerlegen,
obwohl es "Andersdenkende" gibt und der Gesetzgeber selbst keine letzte,
unfehlbare Sicherheit gewinnen konnte?
Nur in diesem Bereich, in dem es um Tod oder Leben von Menschen geht, darf
der Verantwortungsträger angeblich nicht: entscheiden, weil nicht alle
Bürger das Gleiche denken? Und außerdem: Auch die Fristenlösung
wäre nach diesem Prinzip "Bevormundung" und Diskriminierung all
jener, die anders denken, als die ÖVP es tut - und deren gibt es viele:
Alle Christen, die ihre Kirche und ihren Glauben kennen und ernst nehmen. Zu
der Rede von der "Bevormundung und Diskriminierung der Andersdenkenden
passt das Argument der US-Bischöfe: Es gibt Menschen, die sagen: "Obwohl
ich persönlich gegen Abtreibung, Rassismus und Sexismus bin, möchte
ich meine persönliche Sichtweise nicht dem Rest der Gesellschaft aufzwingen."
Die scheinbar noble, tolerante Zurückhaltung ist nichts anderes als der
Verzicht darauf, sich für moralische Werte wirklich einzusetzen und für
gerechte Strukturen in der Gesellschaft zu kämpfen.
Auch die dritte Abwehrstrategie der ÖVP zur Verteidigung der Fristenlösung
ist leicht zu widerlegen: Es ist die populistische Rede von der "Bedrohung"
der betroffenen Frauen: Erstens wird die Frage übergangen, was Strafrecht
ist und in welchem Sinn es als Warnung, nicht als Drohung legitim ist. Zudem
ist dabei immer nur von Frauen die Rede, nicht von Tätern (unabhängig
vom Geschlecht). Außerdem lenkt der Text damit ab von der entscheidenden
Frage nach dem Kind.
V. Argumente, die die Abschaffung der Fristenlösung als zwingend
erscheinen lassen
Wer wirklich auf Papst Benedikt XVI. hört und seine Worte zum
Menschenrecht auf Leben ernst nimmt, will, dass die Fristenlösung abgeschafft
wird. Dafür gibt es mehr als nur einen guten, zwingenden Grund:
Das erste Opfer der Abtreibung ist der Mensch, der getötet wird. Es ist
nicht eine Glaubensfrage, sondern ein wissenschaftlich abgesichertes Faktum:
Der Mensch beginnt mit der Empfängnis, wer abtreibt, tötet einen Menschen.
Wer den Schutz des Gesetzes für alle Menschen fordert, fordert auch den
der ungeborenen Menschen und fordert damit die Gleichheit aller Menschen vor
dem Gesetz.
Das zweite Opfer der Abtreibung ist die Frau, die in ihrer Weiblichkeit tief
verletzt wird. Zudem gibt man sie quälenden Gewissensbissen preis, sie
wird wahrscheinlich an PAS leiden und sie wird in vielen Fällen in ihrem
Alter einsam sein - und an die Kinder denken, die sie gehabt hätte!
Das dritte Opfer ist der Rechtsstaat: Die Menschenrechte sind unteilbar! Wer
das Recht auf Leben missachtet, missachtet früher oder später auch
alle anderen Menschenrechte und zerstört damit auf längere Sicht das
Fundament, auf dem der Rechtsstaat aufbaut. Darum hat Mutter Teresa Recht, wenn
sie sagte: "Abtreibung ist die größte Gefahr für den Weltfrieden."
Das vierte Opfer ist Europa in seiner physische und kulturellen Existenz: Europa
leidet mehr und mehr unter den Folgen des Kindermangels, und das wissen heute
bereits alle Menschen und alle Parteien. Notwendig ist, gegen alle politische
Korrektheit und Zensur der "Meinungs-Moralisten" nach den Hauptursachen
dieser Entwicklung zu fragen: nach Verhütung und Abtreibung - und alles
zu tun, um sie einzuschränken! Dazu müsste man den Mut haben, die
Fristenlösung in Frage zu stellen und als ersten, großen Schritt
in die richtige Richtung den Müttern angemessen viel Geld geben für
die Erziehung ihrer Kinder! Diese Maßnahme wäre vermutlich noch wichtiger
und noch wirkungsvoller als ein entsprechendes Gesetz.
Darum: Alle Gesetze, die Abtreibung ermöglichen sollten abgeschafft werden
und die Gesetze, die den Menschen schützen, sollten auf die Ungeborenen
ausgedehnt werden. Denn wir wissen sehr wohl, wer die Ungeborenen sind, und
wir wissen auch, dass wir ihre Brüder und Schwestern sind - und dass Gott
uns einst fragen wird wie den Kain nach seinem Bruder Abel. Und auch Kain hat
gemeint, er könnte sich mit behauptetem "Nichtwissen" aus der
Verantwortung stehlen. Es ist ihm nicht gelungen, es gelingt heute nicht und
wird nie gelingen.
[1]"Das Evangelium des Lebens leben": Hirtenbrief der US-Bischöfe
zum "Evangelium des Lebens" vom 24.11.1998
Quelle: www.kath.net
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