Das Schweigen brechen - Das Thema Abtreibung darf nicht
weiterhin tabu bleiben
Ich blättere in den Aufzeichnungen der letzten Monate:
Viele erschreckende Nachrichten, an die man sich im Lauf der Zeit jedoch gewöhnt
hat, weil die Kultur desTodes unaufhaltsam voranzuschreiten scheint. Sind wir
dem Trend hilflos ausgeliefert?
In Schweden dürfen Kinder, die nicht das von den Eltern gewünschte
Geschlecht haben, abgetrieben werden - bis zur 18. Woche. Das hat die "Nationale
Gesundheitsbehörde" - Gesundheit! - entschieden.
Das Europaparlament stimmt im April dem "Trakatellis-Bericht" zu. Er
zielt darauf ab, genetisch bedingte seltene Erkrankungen auszumerzen. Das Instrumentarium: "genetische
Beratung der als Krankheitsüberträger fungierenden Eltern", sprich
Abtreibung bei absehbarer Behinderung, bzw. "die Auswahl von gesunden Embryos
vor der Implantation."
Nicaraguas Regierung wird von einer UNO-Kommission gerügt, das Land halte
die UN-Anti-Folterkonvention angeblich nicht ein: Das gesetzliche Abtreibungsverbot
sei mit einem Regierungsauftrag zur Folter, zumindest aber mit einer grausamen
Behandlung gleichzusetzen.
In Frankreich will man Hebammen verpflichten, die abtreibende "Pille danach" zu
verabreichen.
Und: Wiens Bürgermeister lädt im September zu einer Feier anläßlich
des 30jährigen Bestehens von "pro-women", einer der großen
Abtreibungskliniken, ins Wiener Rathaus ein. Deren Geschäftsführerin
schätzte übrigens im Vorjahr die Zahl der Abtreibungen in Österreich
auf 30.000 bis 35.000 im Jahr!
Fazit: Die Straffreiheit für Abtreibung wurde uns vor Jahrzehnten als Notlösung
in trostlosen Ausnahmefällen verkauft. Sie hat sich zum etablierten Recht
entwickelt, Kinder zu töten. Dieses weitet sich mehr und mehr zum Recht
aus, über das Leben anderer zu verfügen. Neuestes Beispiel: Die Schweizer
Regierung handelt mit "Exit" (Vereinigung für Sterbehilfe) Spielregeln
für die Beihilfe zum Selbstmord aus.
Aber lassen wir zunächst die oben erwähnten Zahlen der Abtreibungen
auf uns wirken. Mindestens 30.000 pro Jahr - das behaupten nicht Abtreibungsgegner,
denen man vorwerfen könnte, sie übertrieben, um zu dramatisieren. Nein,
die Zahl nennt eine "Insiderin". Weil in Österreich seit rund
35 Jahren abgetrieben wird, würde das bedeuten, daß in diesem Zeitraum
hierzulande rund eine Million Kinder im Mutterleib umgebracht worden sind.
Eine Million Kinder bedeutet: eine Million Mütter, eine Million Väter
- und viele Großmütter, Großväter, Freunde, die zur Abtreibung
gedrängt oder geraten, bzw. davon gewußt haben, ohne etwas zu unternehmen.
Ist es übertrieben, diese Zahl auf 3 Millionen zu schätzen? Dazu kommt
das Leid jener, die hilflos miterleben mußten, wie das eigene Kind, der
Enkel, die Schwester getötet wurden. Und das bei einer Bevölkerung
von 8,5 Millionen!
Hält man sich das vor Augen, versteht man, warum das Thema Abtreibung kaum
mehr öffentlich debattiert wird. Es sind eben zu viele unmittelbar betroffen.
Zu viele haben da Schuld auf sich geladen, haben diese Schuld verdrängt,
aus dem Gedächtnis gestrichen, wollen nur ja nicht mit dem Thema konfrontiert
werden, reagieren empört, ja aggressiv, wenn jemand eine kritische Bemerkung
macht. Also ist das Thema tabu.
Auch die Kirche hält sich zurück. Man zitiert zwar gern das Wort von
Kardinal König, Abtreibung sei "eine tiefe soziale Wunde". Dann
aber wird nur allzu leicht zur Tagesordnung übergangen. Denn die meisten
Christen haben längst resigniert. Wann haben Sie, liebe Leser, zuletzt eine
aufrüttelnde Predigt zum Thema gehört? Und wann das letzte Mal selbst
in einem Gespräch engagiert Partei für die ungeborenen Kinder ergriffen?
Zugegeben: Es ist nicht leicht, den richtigen Ton, das richtige Maß zu
finden und den rechten Moment zu erkennen, sich zu äußern. Es ist
schwierig, nicht Schlagworte zu dreschen, nicht selbstgerecht zu wirken, nicht
von oben herab zu verurteilen...
Dennoch ist es höchste Zeit, Position zu beziehen, Meinung zu bilden und
zu widerlegen, was dauernd behauptet wird: daß Frauen ein Recht hätten
zu entscheiden, ob sie ein Kind austragen wollen oder nicht, daß es für
Kinder besser sei, nicht geboren als später nicht geliebt zu werden, daß es
unmenschlich sei, bei Abtreibung Strafen zu verhängen...
Diese aus der Lüge geborenen Stehsätze haben sich als Selbstverständlichkeiten
ins Bewußtsein der Völker eingefressen. Dagegen muß endlich
etwas unternommen werden. Weil die Menschen ein Anrecht darauf haben, die Wahrheit
zu erfahren - gerade jene, die schuldbeladen sind.
Wie sollen sie denn aus ihrer Misere herausfinden, wenn niemand das Lügengespinst
rund um den Umgang mit dem menschlichen Leben entlarvt? Man tut doch einem Krebskranken
auch nichts Gutes, wenn man ihn über seine Lage im Unklaren läßt
und damit verhindert, daß er sich einer lebensrettenden Operation unterzieht.
Gleiches gilt für die Schuld, die so viele Mitbürger durch Duldung
oder Mitwirkung an einer Abtreibung auf sich geladen haben und weiterhin laden.
Sie ist eine objektive Gegebenheit, die den Menschen langsam zerstört, ob
er es merkt oder nicht. Viele Frauen leiden an einem Post-Abortion-Syndrom, einem
Trauma, das früher oder später nach einer Abtreibung auftritt. Dieses
Leiden kann der Auslöser für eine Besinnung und Umkehr bieten. Aber
viele, vor allem die weniger direkt Beteiligten, die Väter der umgebrachten
Kinder, die Eltern der abtreibenden Frau, verdrängen das Unrecht. Und dennoch
lastet auch auf ihnen die Schuld.
Sie geraten damit unbewußt in den Sog der Kultur des Todes, verlieren über
kurz oder lang den Blick für Gut und Böse. "Das eben ist der Fluch
der bösen Tat, daß sie fortzeugend Böses muß gebären," heißt
es bei Friedrich Schiller, der damit nur zum Ausdruck bringt, was uns der christliche
Glaube sagt: Daß wir in einem geistigen Kampf stehen, in dem es um alles
geht, um Tod und Leben, um Segen oder Fluch. Ich habe dies schon so oft geschrieben
- und verliere es dennoch selbst allzu leicht aus den Augen.
Die Frage des Lebensschutzes ist kein Nebenkriegsschauplatz. Hier geht es um
das Überleben der Völker. "Die Option für das Leben und die
Option für Gott sind identisch," stellte Papst Benedikt XVI. vor Priestern
in Rom fest. Wir müssen uns bewußt machen: Indem unsere Gesetzgebung
gegen das Leben optiert, begibt sie sich auf den Weg der Gottlosigkeit, der notgedrungen,
früher oder später, ins Chaos führen muß. Denn der Mensch
ist und bleibt ein Geschöpf Gottes. Er kann auf Dauer nicht außerhalb
der Ordnungen Gottes existieren. Die unübersehbaren Alarmsignale (Kriminalität,
Depression, Drogensucht, Alkoholismus...) zeigen: dies ist kein frommer Spruch.
Was tun? Das Naheliegende. Zeugen des Lebens sein, Zeugen der Freude am Leben,
in den alltäglichen Kleinigkeiten: den Blick schärfen für die
Kostbarkeit der Kinder, der Enkel, des Ehepartners, des Mitarbeiters... - und
sich dementsprechend verhalten. Sich von Gott Zuversicht erbitten, um Freude
zu erleben und auszustrahlen. Mut machen zum Leben, auch und gerade unter den
schwierigen Bedingungen von heute. Widerwärtigkeiten und Leiden ertragen
lernen, im Bewußtsein, daß diese Haltung unerwartete Wege des Heils öffnet.
Vor allem: erfahrbar machen, daß Treue, Keuschheit, Reinheit nicht verzopfte
Werte sind, sondern Haltungen, die Leben gelingen lassen. Kurzum, sich für
ein Leben aus dem Heiligen Geist öffnen, der in unserer Schwachheit Wunder
wirken kann.
Und Er, der Heilige Geist, wird es auch sein, der uns die rechten Worte eingibt,
damit wir im richtigen Moment die Wahrheit über das Leben in angemessener
Form sagen. Ganz einfache Wahrheiten: Daß Gott Herr des Lebens ist. Daß jeder
Mensch ein Geschenk Gottes an die Welt ist. Daß jeder von Gott geliebt
und daher liebenswert ist. Daß das Leben unbedingt schützenswert ist
- weil sonst alles seinen Wert verliert. Aber auch, daß Abtreibung, Euthanasie
und Menschenbastelei Greueltaten sind, die schwere Schuld auf die Beteiligten
legen.
So schwerwiegende Aussagen darf jedoch nur machen, wer auch Wege aus der Schuld
weist. Hier ist die Kirche heute besonders gefordert, die Tore weit zu öffnen,
damit wir alle, die wir mehr oder weniger verstrickt sind in die Kultur des Todes,
unsere Lasten in der Beichte ablegen können und von Jesus neues Leben im
Heiligen Geist geschenkt bekommen.
Nur der Priester kann im Namen Gottes Schuld vergeben. Ist nicht das Priesterjahr,
das Papst Benedikt vor kurzem eröffnet hat, die Gelegenheit, vielen diese
wunderbare Befreiung zu verkünden und zu schenken?
Quelle: Vision
2000 - Author: Christof Gaspari
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