Daten und Statistik zum Thema Abtreibung
Anmerkung des "Bundesamtes
für Statistik" zu den Abtreibungszahlen:
Für das Jahr 1976 existiert keine Jahresstatistik, sondern nur eine Erfassung
für die Zeit ab dem 22. Juni1976 (sog. Rumpfjahr). Ausserdem wird Ihnen
auffallen, dass bis 1980 ein starker Anstieg der gemeldeten Zahlen zu beobachten
ist. Dieser ist in erster Linie auf die zunehmend verbesserte Erfassung der
Berichtspflichtigen zurückzuführen. Wir halten deshalb eine zusammenhängende
Betrachtung erst ab 1980 für sinnvoll. In der ehem. DDR wurden Schwangerschaftsabbrüche
erst ab dem II. Quartal 1972 systematisch erfaßt. Erst ab 1973 liegen
für komplette Jahre Statistiken vor. Die verschiedenen Zeitabschnitte
müssen, so wie sie in den Tabellen dargestellt sind, getrennt betrachtet
werden (früheres Bundesgebiet bis 1992, neue Länder bis 1992, Deutschland
1993 bis 1995 und ab 1996). Hinsichtlich der Erhebungsmethodik gibt es erhebliche
Unterschiede:
- In der ehem. DDR wurden Schwangerschaftsabbrüche
bis 1990 über das sog. Krankenblattsystem erfaßt, womit von einer fast
vollständigen Meldung der Abbrüche zur Statistik auszugehen ist,
denn Abbrüche wurden nur in Krankenhäusern vorgenommen.
- Im früheren Bundesgebiet geschah die Meldung dagegen bis Ende 1995
auf einem Erhebungsbogen, der anonym abgegeben werden konnte. Dadurch und
wegen der Tatsache, daß viele Stellen, die Schwangerschaftsabbrüche
vornahmen, dem Statistischen Bundesamt nicht bekannt waren, ist dort bis
1995 von einer erheblichen Untererfassung auszugehen.
Erst ab 1996 sind die Inhaber von Krankenhäusern und Arztpraxen verpflichtet,
auf dem Erhebungsbogen als (später abzutrennendes) Hilfsmerkmal Name
und Anschrift der Einrichtung anzugeben. Erst seit 1996 kann dadurch die
Einhaltung der Berichtspflicht kontrolliert werden.
Mit der Neuregelung der Bundesstatistik über Schwangerschaftsabbrüche
ab 1. Januar 1996 sind die Inhaber der Arztpraxen sowie Leiter der Krankenhäuser,
in denen innerhalb von zwei Jahren vor dem Quartalsende Schwangerschaftsabbrüche
durchgeführt wurden, auskunftspflichtig. Als Hilfsmerkmale werden entsprechend
§17 SchKG der Name und die Anschrift der Einrichtung sowie die Telefonnummer
der für Rückfragen zur Verfügung stehenden Person erhoben.
Dadurch ist es dem Statistischen Bundesamt möglich, die Einhaltung der
Auskunftspflicht zu kontrollieren. Jedoch gelten auch weiterhin Einschränkungen
hinsichtlich der Vollständigkeit der erhobenen Daten.
Abtreibungszahlen sind zu verdoppeln
Quelle: FAZ, 28.03.2003, Nr. 74, S. 23 - Briefe an die Herausgeber
Der Bericht "Weniger Abtreibungen in Deutschland" (F.A.Z. vom
15. März) erweckt den Eindruck, die Abtreibungsstatistik in Deutschland
sei seit der Novellierung des Parapgraphen 218 des Strafgesetzbuches im August
1995 und der damit einhergehenden Neuregelung des Meldeverfahrens exakt und
zuverlässig. Dies trifft nicht zu. Die Abtreibungsstatistik ist leider
auch heute überaus lückenhaft. Das Schwangeren- und Familienhilfeänderungsgesetz
vom 21. August 1995 legte in Paragraph 18 Absatz 3 fest, daß dem statistischen
Bundesamt durch die Landesärztekammern die Anschriften von jenen Ärzten
zu schicken sind, in deren Einrichtungen "nach ihren Kenntnissen" Schwangerschaftsabbrüche
vorgenommen worden sind oder vorgenommen werden sollen. Die gleiche Mitteilungspflicht
wurde den zuständigen Gesundheitsbehörden im Hinblick auf die einschlägigen
Krankenhäuser auferlegt. Auf der Grundlage dieser Anschriftenlisten
läßt das Statistische Bundesamt den Ärzten und Krankenhäusern
dann seinen Erhebungsbogen zukommen. Aber es gibt in den Bundesländern
kein einheitliches Verfahren bei der Meldung der Anschriften an das Statistische
Bundesamt, das die Meldepraxis aus den einzelnen Bundesländern deshalb
sehr unterschiedlich bewertet.
Das statistische Bundesamt warnte deshalb auch von 1996 bis 2000 jedes Jahr
wieder davor, seine Zahlen als zuverlässig anzusehen. Häufig lägen
bei den Landesärztekammern keine oder nur unzureichende Erkenntnisse
vor. Eine Vorbefragung von ambulant niedergelassenen Gynäkologinnen
und Gynäkologen ausgewählter Bundesländer zur Klärung
des Kreises der Auskunftspflichtigen durch das Statistische Bundesamt führte
ebenfalls nicht zur sicheren Abgrenzung, da die Wahrhaftigkeit der Antwort
nicht überprüfbar ist. Auch Antwortverweigerungen waren zu verzeichnen.
So ist nicht auszuschließen, daß ambulante Einrichtungen, in
denen Schwangerschaftsabbrüche durchgeführt werden, weder den Landesärztekammern
noch dem Statistischen Bundesamt bekannt sind. Außerdem sind in den
Zahlen der Schwangerschaftsabbruchstatistik die unter einer anderen Diagnose
abgerechneten und die im Ausland vorgenommenen Schwangerschaftsabbrüche
nicht enthalten.
Seit 2001 fehlen diese Warnungen, obwohl sich weder die Rechtsgrundlage
der Abtreibungsstatistik noch die Meldeverfahren geändert haben. Eine
Begründung für diese Änderung wurde nicht gegeben. Dies zwingt
zu dem Schluß, daß die Bundesregierung dem Statistischen Bundesamt
eine Anweisung gab, diese Warnungen zu eliminieren, weil sie es für
inopportun hielt, der eigenen Statistik mit derartiger Skepsis zu begegnen.
Die für die Abtreibungsstatistik zuständige Referatsleiterin schied
aus dem Amt. Plötzlich erklärt das Statistische Bundesamt, es sei
ihm möglich, die Einhaltung der Auskunftspflicht zu kontrollieren. Da
sich an den Bedingungen der Datenerhebung nichts geändert hat, kann
diese Zuversicht nur als Irreführung bezeichnet werden. Ein Meldedefizit
von rund 55 Prozent läßt sich beispielsweise für 1996 bei
den Abtreibungen nach medizinischer und kriminologischer Indikation nachweisen.
Während das Statistische Bundesamt 4874 Abtreibungen verzeichnete,
wurden allein bei den gesetzlichen Krankenkassen, die diese Abtreibungen
bis 1997 zu zahlen verpflichtet waren, 7530 Fälle abgerechnet. Nimmt
man dieses Meldedefizit auch für die Abtreibungen nach der Beratungsregelung
an, kommt man schon auf rund 200.000 Abtreibungen jährlich, die dann
noch um die unter anderen Ziffern der ärztlichen Gebührenordnung
abgerechneten, um die von Privatkassen bezahlten, um die nach wie vor im
Ausland vorgenommenen, um die Mehrlingsreduktionen nach In-vitro- Fertilisation
und um die heimlichen Abtreibungen ergänzt werden müssen. Daß auch
letztere nach der „Freigabe“ der Abtreibung 1976 noch in erheblichem
Maße vorkommen, zeigte der Fall des Memminger Arztes Horst Theißen
in den achtziger Jahren. Zählt man alle diese Abtreibungen zusammen,
kommt man nicht umhin, auch nach einer restriktiven Schätzung die Zahl
der vom Statistischen Bundesamt gemeldeten jährlichen Abtreibungen zu
verdoppeln.
(Professor Dr. Manfred Spieker, Universität Osnabrück)
Zurück zur Statistik
|