Der Wolf, die Schafe und die "Strichlösung"
Rechtswidrig - aber straffrei. Satire zur europaweiten Abtreibungsregelung
(Andreas Laun)
Damals, vor langer Zeit, als ein Wolf zum ersten Mal ein Schaf schlug und auffraß,
waren die Schafe
bestürzt und ratlos. Was sollten sie nur tun? Da alle Versuche, sich mit
den Wölfen zu verständigen, fehlschlugen, errichteten die Schafe Zäune
mit scharfen Spitzen. Diese waren zwar kein absoluter Schutz, aber die Wölfe
hatten Mühe, durchzukommen. Manchmal verletzten sie sich oder mußten überhaupt
aufgeben.
Besonders gefährdet waren die ganz kleinen Schafe, die sich weder wehren
noch laut um Hilfe rufen konnten. Zwar war auch ihr Weideplatz eingezäunt,
doch wenn es einem Wolf gelang, sich durch die Drähte oder unter den Zäunen
hindurchzuzwängen, hatten sie keine Chance. So manches kleine Lamm mußte
sein junges Leben lassen. Dennoch. Der Zaun konnte das Schlimmste verhindern.
"Wir können zwar keinen absoluten Schutz garantieren. Dies müssen
wir – so bedauerlich es auch ist – wohl in Kauf nehmen. Das ist aber
kein Grund um nachlässig zu werden", meinten die Schafe auf ihrer jährlichen
Vollversammlung. Fleißig erneuerten sie ihre Schutzanlagen Tag um Tag.
Eines Tages aber kann eine Delegation der Wölfe zu den Schafen und sagte:
Wolf: Laßt uns doch in Ruhe über die ganze
Angelegenheit reden. Wir verstehen ja euer Anliegen sehr gut und wir wollen
euer Schafsrecht auf ein ungestörtes Leben auch achten.
Bei diesem Satz ging ein aufgeregtes Raunen durch die Menge der Schafe. Der Sprecher
der Wölfe machte eine bedeutsame Pause und fuhr fort, als sich das Gemurmel
gelegt hatte.
Wolf: "Aber, geliebtes Schafsvolk, ihr müßt
auch uns verstehen. Den Zaun um Euch große, richtige Schafe können
wir ja noch akzeptieren. Der Zaun aber, mit dem ihr eure winzigen Schafskindlein
umgebt ist für uns
nicht annehmbar. Was soll dieser Zaun? Wollt ihr vielleicht behaupten, daß diese
Dinger richtige Schafe sind? Richtige Schafe seid nur ihr, geschätzte Ratsherrn,
ihr die großen, starken Schafe mit den gekrümmten Hörnern. Ihr
selbst nennt diese kleinen Dinger hinter dem Zaun doch auch nicht "Schafe",
sondern bloß "Lämmer'".
Bei diesen Worten verneigte
sich der Sprecher der Wölfedelegation mit Eleganz, um der Schafswürde
der richtigen Schafe seinen ungeteilten Respekt zu zollen. Wieder ging ein Raunen
durch die Schafsmenge.
Schaf 2: Seht nur, die Wölfe sind keine bösen
Tiere!
Schaf 3: Und welch hohe Meinung sie von uns haben!
Schaf 4: Laßt uns hören, was er noch zu
sagen hat!
Wolf (mit weinerlicher Stimme): Immer wieder kommt
es vor, daß sich
einer der unseren verletzt! Hier, seht!
Und auf ein Zeichen hin humpelte ein
Wolf, der vor einiger Zeit erst im Zaun hängengeblieben war und sich schwer
verletzt hatte, in die Mitte des Platzes.
Wolf: Ihr seht ja selbst! Eure Zäune sind brutal
und doch offensichtlich gegen uns gerichtet. Wollt Ihr wirklich andere Tiere
so verletzen?
Schaf 2: Oh je, das sieht ja wirklich schlimm aus!
Schaf 3: Wir wollen doch den Wölfen nicht
weh tun!
Schaf 4: Wölfe sehen das eben anders, das
muß man respektieren!
Wie konnten wir so herzlos sein und eine Gemeinheit wie einen Stacheldrahtzaun überhaupt
errichten."
Schaf 2: Jetzt schäme ich mich schon richtig
für unsere
häßlichen, wolfsverachtenden Zäune!
Wolf: Wie kann jemals zwischen uns Frieden werden,
wenn ihr uns so behandelt? Ihr müßt uns respektieren! Außerdem
solltet ihr bedenken: „Was nützen eure Zäune? Wenn ein Wolfsmagen
knurrt, kommt er mit oder ohne Zaun in euer Gehege."
Der Wolf legte wieder eine Pause ein und ließ den verblüfften Schafen
Zeit, ihren verwirrten Gefühlen Luft zu machen.
Wolf: Ich schlage Folgendes vor. "Wir wollen
die kleinen Lebewesen, die ihr 'Lämmer' nennt, gar nicht auffressen. Wir
Wölfe wollen einzig
und allein, daß der bedrohliche und nutzlose Zaun rund um die Lebewesen
entfernt wird. Natürlich hat jeder ein Lebensrecht, auch die sogenannten
'Lämmer"."
Viele Stunden dauerte die anschließende Diskussion unter den Schafen.
Schaf 5: Jagt die Wölfe weg! Ihr Vorschlag ist
unannehmbar!
Schaf 3: Wie kannst du nur so radikal sein! Man muß die
Wölfe
verstehen und nicht einfach über sie urteilen!
Schaf 1: Ohne Zäune sind wir unseres Lebens
nicht mehr sicher! Ohne mich!
Schaf 4: Laßt uns doch einen Kompromiß erarbeiten:
Den Zaun für uns großen, richtigen Schafe lassen wir natürlich
stehen. Diesen Schutz brauchen wir. Nur die Zäune, die die kleinen Lebewesen
umgeben, reißen wir ab.
Schaf 3: Ja, und damit deutlich wird, daß die
Wölfe sie
nicht reißen sollen, malen wir einen dicken , leuchtendweißen Strich
auf den Boden, wo vorher die Zäune standen. Außerdem bieten wir
den Wölfen Gespräche und Hilfe an, falls sie allzu großen Hunger
haben.
Mit der neuen Regelung wollte man natürlich unter keinen Umständen
den Eindruck erwecken, daß dadurch das Lebensrecht der sogenannten 'Lämmer'
grundsätzlich in Frage gestellt würde. Darum einigte man sich darauf,
anstelle des ehemaligen Zaunes jetzt einen Strich zu zeichnen.
Schon am nächsten Tag rückte ein Arbeitstrupp der Schafe aus und
montierte den Schutzzaun unter den lauerndenBlicken der Wölfe ab. Dann
zogen sie mit weißer Farbe einen Strich auf den Boden und stellten ein
Hinweisschild auf:
„Schafe reißen verboten - Jedes Tier hat
ein Recht auf Leben“
Anschließend richteten die politischen Vertreter der Schafe einen dringenden
und todernsten Appell an die Wölfe, die am Boden gezeichneten Linien gefälligst
zu respektieren. Auch um Wölfe, die ihrem Hunger nicht Herr werden könnten,
kümmerte man sich. Ihnen sollte eine kostenlose Gesprächstherapie
angeboten und eine vegetarische Feldküche zur Verfügung stehen.Die
Herde der sogenannten 'Lämmer' blökte leise vor sich hin und
hüpfte auf dem frischen Gras. Von so viel Diplomatie und Politik verstanden
sie wenig. Von den großen gehörnten Schafen schaute niemand auf
sie. Es war, als ob sie gar nicht existierten. Nachdem der demokratische Beschluß der
Schafe in die Tat umgesetzt war, löste sich die zufriedene Versammlung
wieder auf. Gemessenen Schrittes zogen sich die gehörnten Schafe in ihr
gut geschütztes Gehege zurück. In jenen Tagen wuchs das Gras so schnell
wie selten vorher in der Geschichte der Schafheit. Darum wurde in den folgenden
Wochen nur wenig bis gar nicht über die neue Regelung gesprochen. Es war
sogar verpönt, über die "Strichlösung" - so der Name
der neuen Regelung - zu debattieren.
Schaf 2: Wir müssen den Wölfen helfen
und sie beraten, nicht diskriminieren!
Schaf 3: Ja, ja, so ist es richtig, der Zaun hat
ja doch nichts genützt.
Es war, als ob die Schafe sich durch die Wiederholung der Wolfsargumente selbst
Mut machen und gegenseitig bestärken wollten in dem Glauben, sie hätten
ein kluge Lösung gefunden. Es dauerte nicht lange, da taten sich einige
Schafe zusammen und gingen zu dem Platz, wo sie die Lämmer gelassen hatten.
Schaf 1: Da, seht mal! Unzählige Wolfsspuren – direkt über
den weißen Strich!
Schaf 5: Das darf doch wohl nicht wahr sein! Das kann doch
einfach nicht wahr sein!
Schaf 1: Habe ich das nicht gleich gesagt? Das mußte
ja schiefgehen!
Schaf 4: Nein, nein, so kann man das nicht sehen!
Sie haben bestimmt ihre Gründe gehabt! Laßt uns zu ihnen gehen und
mit ihnen reden!
Die Schafe versuchten scheu und unentschlossen mit den Wölfen in einen
Dialog zu treten. Doch die Wölfe fletschten ihre Zähne und drohten:
Wolf: "Wollt ihr neue Gräben zwischen uns
und euch aufreißen?
Wollt ihr uns Wölfe wieder verletzen und den gesellschaftlichen Frieden
zerstören? Was fällt euch ein, hinter die modernen Errungenschaften
zurückzufallen?" Ausgerechnet ihr, die Schafe, die doch friedlich
sein sollten?
Eingeschüchtert zogen die Schafe ab und wandten sich hilfesuchend an ihre
Regierungsvertreter.
Schaf 5: Wir haben unzählige tote Kadaver unserer
Kleinen am Boden liegen sehen! Die Wölfe haben....
Schaf 3: Die Wölfe, die Wölfe! Hört
doch auf, ständig
schlecht über die Wölfe zu reden. Wir haben durch den Strich am Boden
deutlich zu erkennen gegeben, daß wir ihr Verhalten nicht für richtig
halten. Aber mit blutrünstigen Erzählungen, hochgespielten Emotionen,
Verurteilungen Andersdenkender und billigem Aktionismus kommen wir nicht weiter.
Zäune
zu errichten, wäre eine neue Diskriminierung der Wölfe. Sollen sie
sich wie Verbrecher fühlen? Wir müssen sie überzeugen. Wir müssen
den Wölfen helfen, statt sie zu bestrafen." Nachdem man noch einige
wichtige Worte zum Thema Solidarität mit den Wölfen, Freiheit, Meinungsbildung
und Grundlagendebatte gewechselt hatte, zogen sich alle hinter den hohen Zaun
der Schafsstallungen zurück.
Am Abend prüften sie sorgfältig, ob ihr Zaun in Ordnung und die Tür
verschlossen war. Beruhigt schliefen sie dann ein. Das Heulen der Wölfe,
das in der Stille der Nacht deutlich zu hören war, berührte sie nicht
mehr.
Fazit:
Es wäre eine unzulässige Verkürzung,
aus Not oder unter Druck abtreibende Frauen mit brutalen Wölfen gleichzusetzen. Folgende
Parallelen könnte man ziehen
Fabel |
Realität |
Lämmer sind noch keine richtigen Schafe |
Der Embryo ist noch gar kein richtiger Mensch |
Wölfe sehen das anders, das muß man respektieren |
Ich persönlich würde ja nicht abtreiben, aber wenn sich jemand
für eine Abtreibung entscheidet, muß man das akzeptieren |
Der Zaun hat doch nichts genützt |
Auch wenn das Gesetz Abtreibungen verbietet, wird es immer Frauen geben,
die abtreiben. |
Zäune zu errichten wäre eine Diskriminierung der Wölfe.
Sollten die sich wie Verbrecher fühlen. |
Das Strafrecht und die Leute, die dafür eintreten, wollen denen,
die abtreiben, ein schlechtes Gewissen machen. |
Zaun |
Strafrechtlicher Schutz via Gesetz. Dienen zum Schutz der Schwachen in
unserer Gesellschaft. |
Strich |
Verbot, aber bei Nichtbefolgung droht keine Strafe |
Schild |
Grundgesetz |
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