Kirche und Kreuzzüge
Das Problem
Die Kirche hat im Mittelalter zu gewaltsamen Kreuzzügen aufgerufen.
Damit habe sie ihre eigene Botschaft des Friedens verraten und im Namen
der Religion ungerechte Eroberungsfeldzüge geführt. Eigentlich
seien die Kreuzzüge nichts anderes gewesen als ein Djihad von Seiten
der Christen.
Die Vorgeschichte
Wie wir aus dem NT wissen, wurde Palästina zur Zeit Jesu als
Provinz des (Ost-)Römischen Reiches verwaltet. Im Jahr 325 lies Kaiser
Konstantin über
dem Grab Jesu die Grabeskirche erbauen. Unter Kaiser Theodosius (+395),
der das Christentum zur Staatsreligion des Römischen Reiches erhob,
wurde Jerusalem zum wichtigsten Wallfahrtsziel der gesamten Christenheit.
Eroberung Jerusalems durch den Kalifen Umar
Dies blieb so bis zur großen Expansion des Islams im 7. Jahrhundert.
Im Jahr 638, nur sechs Jahre nach dem Tod Mohammeds, wurde Jerusalem von
Kalif Umar erobert. Die christlichen Bewohner leisteten keine Gegenwehr,
denn der Kalif garantierte ihnen schriftlich "absolute Sicherheit
für Euer Leben, Euren Besitz und Eure Kirchen". Sie wurden lediglich
- wie alle "Ungläubigen" -zu einer Religionssteuer verpflichtet.
Doch im Laufe der Zeit änderte sich die Stimmung: Als 966 ein Heer
des oströmischen Reiches von Byzanz aus Teile des von den Muslimen
besetzten Syriens zurückeroberte, rächten sich diese an den Christen
in Jerusalem. Unter anderem wurde das Dach der Auferstehungskirche in Brand
gesetzt. Der Augenzeuge Ademar von Jerusalem berichtet: "Da sie nicht
imstande waren, ihn zu zerschlagen, setzten sie den Felsen einem mächtigen
Feuer aus." Das Feuer wurde mit kaltem Wasser gelöscht, der brüchig
gewordene Stein abgebrochen. Nur die Steinbank, auf der einst der Leichnam
Jesu lag, trotzte der gewaltsamen Verwüstung. Die westliche Christenheit
war über diese Vorgänge entsetzt. Trotzdem verschärfte sich
die Unterdrückung der Christen noch weiter: 1056 wurden zahlreiche
Christen aus Jerusalem ausgewiesen und europäische Pilger durften
die Örtlichkeiten der Grabeskirche nicht mehr betreten. Nach einem
Bericht von Berthold von Reichenau waren Pilgerfahrten nur noch unter militärischer
Begleitung möglich.
Eroberung Jerusalems durch die Seldschuken
Im Jahr 1077 wurde das von den Fatimiden beherrschte Jerusalem von den
Seldschuken, einem ebenfalls muslimischen Steppenvolk aus dem heutigen
Turkmenistan, unter der Führung von Emir Atsiz bin Uwaq erobert.
Damit wurde die Situation der wenigen Christen vor Ort nochmals schwieriger.
In der Folgezeit überrannten die Seldschucken ganz Anatolien und
errichteten ihre Hauptstadt in Nizäa, weniger als 100 km vor Konstantinopel.
Damit war Kaiser Alexios l. Komnenus, der in Konstantinopel residierte,
und das ganze Oströmische Reich ernsthaft bedroht. Die Lage war
so brisant, dass sich der Kaiser, der sich zusammen mit seinem Reich
einige Jahre zuvor (1054) von der katholischen Kirche getrennt hatte,
gezwungen sah, den .Papst um Hilfe anzurufen.
Waren die Kreuzzüge berechtigt? Licht und Schatten!
Der geschichtliche Hintergrund zeigt, dass man die eigentliche Absicht
der Kreuzzüge grundsätzlich durchaus als berechtigt ansehen kann.
Es ging hier weder um Imperialismus noch um Zwangsbekehrung der Muslime.
Auch die These, die Kreuzzüge hätten lediglich der persönlichen
Bereicherung der Teilnehmer gedient (landlose jüngere Söhne des
europäischen Adels seien auf diese Weise zu Besitz und Titeln gekommen)
ist zu einfach. Die Anführer des ersten Kreuzzuges - Gottfried von
Bouillon, Robert von der Normandie, Bohemund von Tarent, Raimund IV. von
Toulouse, und Robert von Flandern - waren alles erstgeborene Söhne
und Erben bedeutender Herzogtümer und Grafschaften. Teilweise mussten
sie sogar ihren eigenen Besitz verkaufen bzw. verpfänden, um das Unternehmen
zu finanzieren. Von Seiten der Kirche stellte man auf der Synode von Clermont
von Anfang an klar: "Nur wer aus Frömmigkeit und nicht zur Erlangung
von Ehre und Geld zur Befreiung der Kirche Gottes nach Jerusalem aufgebrochen
ist, dem soll die Reise auf jede Buße angerechnet werden."
Eroberung Jerusalems durch die Fatimiden
Kurze Zeit später fielen die Fatimiden in Palästina ein, muslimische
Berber aus Marokko (Abstammung von Mohammeds Tochter Fatima) und eroberten
979 unter Kalif Ibn Moy Jerusalem. Jetzt wurde die Auferstehungskirche
völlig niedergebrannt, die Kuppel stürzte ein, der Patriarch
kam ums Leben. Als Ibn Moys weiterer Angriff auf das byzantinische Reich
scheiterte, rächte er sich an den Christen in seinen besetzten Ländern,
also auch in Palästina: Prozessionen wurden verboten, man drängte
die Christen aus allen öffentlichen Ämtern oder zwang sie zur
Annahme des Islams, rund 30.000 Kirchen wurden damals enteignet oder geplündert,
die heiligen Stätten in Jerusalem geschändet. 1009 befahl der
Kalif, die Reste der Auferstehungskirche zu zerstören, ihre [christlichen]
Symbole zu entfernen und alle Spuren von ihr und die Erinnerung an sie
zu beseitigen." Die Kirche wurde bis auf die Grundmauern geschleift, "mit
Ausnahme dessen, was nicht zerstört werden konnte oder nur mit Mühe
auszugraben und fortzuschaffen war." Das Heilige Grab selber sollte
weggemeißelt werden.
Die Situation von Papst Urban II.
Die kaiserliche Delegation aus Konstantinopel traf Papst Urban II. auf
einer Synode in Piacenza in Italien und übermittelte ihm den Hilferuf
des Kaisers. Der Papst fand sich nun in folgender Situation:
1. Die ursprünglich von den Muslimen zugesicherten Garantien für
die Christen in Palästina wurden seit langem nicht mehr eingehalten:
Kirchen wurden verwüstet, Christen unterdrückt, Pilgerfahrten
zu den hl. Stätten bedroht.
2. Zusätzlich hatte nun das oströmische Reich - zwar seit 1054
von Rom getrennt, aber immer noch ein christliches Bruderland - gegen die
existentielle Bedrohung durch die Seldschuken um Hilfe gebeten.
Vor diesem Hintergrund versprach Papst Urban II. Hilfe und rief am 27.
Nov. 1095 in Clermont feierlich zum Kreuzzug für die Rettung Konstantinopels
und der heiligen Stätten in Palästina auf. Zur Erfüllung
dieser Zusagen führte das christliche Abendland in den folgenden rund
200 Jahren insgesamt acht Kreuzzüge durch.
DIE SCHATTENSEITEN
Von der eigentlichen Idee der Kreuzzüge muss man ihre konkrete Umsetzung
unterscheiden, bei der es Licht, aber wie in jedem Krieg auch viel Schatten
gab. Egal wie gerechtfertigt ein militärisches Unternehmen ist, egal
wie tadellos sich die Kommandeure selber verhalten, zu einem Freiwilligenheer
werden immer auch Personen stoßen, die von unlauteren Absichten getrieben
sind, die auf Gelegenheiten zur persönlichen Bereicherung warten und
die folglich schnell bereit sind, nicht das eigentliche Ziel - Unterstützung
Konstantinopels, Befreiung der heiligen. Stätten - sondern den eigenen
Vorteil zu suchen. Solche Fälle können auch bei den Kreuzzügen
nicht geleugnet werden. Einige seien im Folgenden kurz dargestellt.
"Private" Kreuzzugsprediger
Papst Urban II. hatte offiziell zum Kreuzzug aufgerufen und namhafte Vertreter
des Adels folgten seiner Bitte. Gleichzeitig sahen sich aber auch selbsternannte
Kreuzzugsprediger ermutigt, auf eigene Initiative Volk und Ritter zu
mobilisieren. So berief sich der Mönch Peter von Amiens auf eine
Vision Christi, der ihn mit der Befreiung Jerusalems beauftragt habe.
Es gelang ihm, rund 20.000 Menschen zu sammeln, "Keusche und Unkeusche,
Ehebrecher, Mörder, Diebe, Meineidige, Räuber; die ganze Christenheit,
ja selbst das weibliche Geschlecht", wie sein Chronist Albert von
Aachen schreibt. Von Frankreich kommend fielen sie im April 1096 im Rheinland
ein, waren aber dort schon so mittellos, dass sie auf Lebensmittelspenden
der Kölner Bevölkerung angewiesen waren. Zusätzliche Geldmittel
wurden durch Gewaltandrohung erpresst. Noch bevor sie die eigenen Landesgrenzen überschritten
hatten, kam es zu ersten Massakern und Plünderungen. Die Heerhaufen
des Peter von Amiens sollten ihr Ziel nie erreichen. Als sie im Oktober
1096 in Konstantinopel ankamen, stießen sie mit den Seldschuken
zusammen und wurden blutig niedergemacht. Nur 3000 Menschen entkamen
und schlössen sich dem offiziellen Kreuzfahrerheer an.
Die blutige Eroberung Jerusalems
Nach fünfmonatiger Belagerung nahm das erste Kreuzfahrerheer am 15.
Juli 1099 Jerusalem ein. Der Chronist berichtet: "Man musste sich
einen Weg über Leichen von Menschen und Pferden bahnen... In Salomons
Tempel und in der königlichen Halle ritten die Soldaten bis zu den
Knien und dem Zaumzeug in Blut". Hier wird ein Massaker beschrieben,
wenngleich freilich bewusst eine drastische Sprache gewählt wurde.
Auch die Zahlen der Opfer, die arabische Quellen angeben (teilweise über
100.000 Tote) dürften übertrieben sein. Wie man heute weiß,
hatte Jerusalem zu jener Zeit höchstens 10.000 Einwohner. Außerdem
war den Bewohnern vor dem Sturm erlaubt worden, die Stadt zu verlassen.
Nur die verbliebenen Kämpfer wurden - nach mittelalterlicher Gewohnheit
- ohne Pardon niedergemacht. Aber natürlich bleiben die Geschehnisse
bei der Eroberung der Stadt, auch wenn sie psychologisch erklärbar
sind, ein Massaker und sind als solches nicht entschuldbar.
Der 4. Kreuzzug
Im Jahr 1202 hatte sich ein Kreuzfahrerheer in Venedig versammelt, um von
der Venezianischen Flotte nach Palästina verlegt zu werden. Da die
für den Transport vereinbarte Geldsumme nicht aufgebracht werden
konnte, einigte man sich darauf - gegen den Willen des Papstes - zuerst
die christliche Stadt Zadar (heute Kroatien) für Venedig zu erobern.
Anschließend drängten die Venezianer die Heeresführung
zu einem Abkommen mit Alexios VI. (ein Sohn des in Konstantinopel abgesetzten
Kaisers Isaak II), vor der Fahrt nach Palästina die Stadt Konstantinopel
zu erobern (!) und ihn, Alexios, als Kaiser des Oströmischen Reiches
einzusetzen. Als Gegenleistung versprach dieser 200.000 Silbermark, militärische
Unterstützung für den weiteren Kreuzzug und die Wiedervereinigung
der orthodoxen Kirche mit Rom. So kam es tatsächlich - wieder gegen
den ausdrücklichen Befehl des Papstes - zur Belagerung, Eroberung
und Plünderung Konstantinopels durch die Kreuzfahrer; die Hälfte
der Beute ging an Venedig. Der Papst exkommunizierte daraufhin das gesamte
Kreuzfahrerheer. Das Unternehmen war ein Fehlschlag in jeder Hinsicht.
Alexios VI. konnte keines seiner Versprechen einhalten, das christliche
Heer hat Jerusalem nie gesehen. Allerdings kann die Schuld für dieses
unglaubliche Geschehen schwerlich beim Papst gesucht werden.
ERGEBNIS
Das Thema "Kreuzzüge" ist ein vielschichtiges Kapitel der
Kirchengeschichte. Es lässt sich nicht leugnen, dass von einzelnen
Teilnehmern unter dem Banner des Kreuzes Unrecht und Grausamkeiten verübt
wurde. Allerdings steht genauso fest, dass die Kreuzzugsidee an sich ihre
Berechtigung besaß, dass die militärischen Einsätze nicht
mit imperialistischen Absichten geführt wurden, sondern als Hilfsaktionen
für Glaubensbrüder gedacht waren, die ungerecht unterdrückt
wurden. Zudem dürfen wir nicht übersehen, was Europa den Kreuzzügen
für seine eigene Entwicklung zu verdanken hat. Egon Flaig, Professor
für Alte Geschichte an der Universität Greifswald, fasst in einem
Beitrag in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (2006) die eigentliche Bedeutung
der Kreuzzüge wie folgt zusammen: "Urban II. sah richtig. Wäre
Konstantinopel schon 1100 gefallen, dann hätte die enorme militärische
Kraft der türkischen Heere Mitteleuropa vierhundert Jahre früher
heimgesucht. Dann wäre die vielfältige europäische Kultur
wahrscheinlich nicht entstanden: keine freien städtischen Verfassungen,
keine Verfassungsdebatten, keine Kathedralen, keine Renaissance, kein Aufschwung
der Wissenschaften: Denn im islamischen Raum entschwand das freie - griechische!
- Denken eben in jener Epoche. Jacob Burckhardts Urteil - 'Ein Glück,
dass Europa sich im Ganzen des Islams erwehrte' - heißt eben auch,
dass wir den Kreuzzügen ähnlich viel verdanken wie den griechischen
Abwehrsiegen gegen die Perser."
Literatur zur Vertiefung
ERNLE BRADFORD,
Der Verrat von 1204. Venezianer und Kreuzritter plündern
Konstantinopel. Berlin: Universitas-Verlag 1978.
AUGUST FRANZEN, Kleine Kirchengeschichte.
Freiburg: Herder 111983,194-199 (§29 Die Kreuzzugsbewegung).
MICHAEL HESEMANN, Die Dunkelmänner. Mythen, Lügen und Legenden
um die Kirchengeschichte. Augsburg: Sankt Ulrich Verlag 2007, 109-123 (Kapitel "Die
Kreuzzüge").
Autor: P. Markus Christoph SJM
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